Die hervorragende Beredsamkeit des neuen Präsidenten fandi bald Gelegenheit zur Betätigung. Der Tod des Kaisers und der Regierungsantritt des Thronerben wurden von Seite des Gemeindepräsidenten mit würdigsten Worten bedacht. Schwere Aufgaben lasten während der Kriegszeit auf seinen Schultern, denn die Führung der Gemeinde, die durch die steigende Teuerung notwendig gewordene Erhöhung der Steuern, die Versorgung verarmender Familien, die Gehaltserhöhungen der Gemeindebeamten und An-. gestellten, die Zeichnung der Kriegsanleihen, die Fürsorge für die Flüchtlinge und all die Erscheinungen, die im Verlaufe des Krieges störend und lastend auf der Öffentlichkeit liegen, waren in erster Reihe vom Präsidenten der Gemeinde zu tragen. Die Kultusgemeinde und die Stadt Teplitz, welchen Dr. Cantor selbstlose Dienste geleistet hat, betrachten ihn als einen ihrer wertvollsten und verdienstvollsten Bürger. Herr Dr. Cantor, dem die Gemeinde in dankbarer Anerkennung seiner Arbeit für die Öffentlichkeit bei jeder Wahl seither das Amt des Kultuspräsidienten übertragen hatte, führt heute noch die Gemeinde, getragen von dem vollsten Vertrauen aller Kreise. Anläßlich seines 60. Geburtstages am 13. Feber 1925 wurde in der Ansprache des Vizepräsidenten Rat Ernst Bechert und in der Festrede des Rabbiners Dr. Weihs im Tempel Dank und Verehrung festlich zumj Ausdruck gebracht. Stiller wird es in der Kultusgemeinde. Die Sorgen der Bevölkerung während des Krieges, die Not und die Trauer in seinem Gefolge spiegeln sich in den Beratungen der Gemeinde, die nunmehr seltener stattfinden. Schleppend wird, wie das öffentliche Leben, auch der Gang der Gemeindegeschäfte. Viele Söhne und Väter stehen im Felde, gar manche sterben dort und in den Spitälern, andere kommen als Invalide heim und manchen kann die Gemeinde später nur mit einem Ehrengrabe danken. Flüchtlinge finden, wie die einfachen von der Gemeinde gewidmeten Grabsteine bezeugen, hier das Ende ihres heimatfernen Lebens. Der Friedhof, der auch manchem ehrenwerten Mit-gliede unserer Gemeinde in diesen Jahren zur letzten Ruhestätte wird (so starb Dr. C. Kraus 1917), wird erweitert, die beschädigten Mauern hergestellt. Erst nach Friedensschluß atmet auch die jüdische Gemeinde auf, allmählich weichen die Sorgen. Eine Anzahl der in Teplitz weilenden Flüchtlinge kehrt im Laufe der Zeit in ihre Heimat zurück. Die Judenschaft trägt ihr gut Teil an den schweren Naohkriegser-scheinungen und fügt sich in die neuen Verhältnisse, die durch die Schaffung der Tschechoslowakischen Republik gegeben sind, vertrauensvoll ein. Die Persönlichkeit des ersten Präsidenten T. G. Masaryk, dessen Eintreten für Recht und Wahrheit in dankbarer Erinnerung geblieben war, erfüllt die Judenschaft mit frohester Hoffnung auf ein friedliches und harmonisches gemeinsames Schaffen im neuen Staate, zumal der nationalgesinnte Teil der jüdischen Bevölkerung durch die Anerkennung der jüdischen Nationalität von Seite der obersten Staatsstelle in seinen politischen und kulturellen Bestrebungen gefördert wird. So lenken Handel und! Wandel allmählich wieder in die gewohnten Bahnen ein und der Friede in der Gemeinde wird durch das vorsichtige, auf Versöhnung der Gegensätze gerichtete Verhalten des Gemeindepräsidenten kaum ernstlich gefährdet. Der geistliche Führer Prof. Dr. Kurrein, der bei aller Treue zum Zionsgedanken mit zunehmendem Alter mehr und mehr dem öffentlichen Leben ferne blieb und sich nur seinem beruflichen Pflichtkreise gewissenhaft widmete, war nach längerem Leiden am 23. Oktober 1919 zur ewigen Ruhe eingegangen. Die Gemeinde ehrte das pflichtbewußte und charaktervolle Wirken ihres Rabbiners durch einen Nachruf des Präsidenten 44), und die Anbringung einer ehrenden Gedenktafel oberhalb seines Sitzes im Tempel, welche die Inschrift trägt: Dem Andenken unseres hochverehrten Rabbiners Herrn Prof. Dr. Adolf Kurrein, der vom 1. März 1888 bis zum 23, Oktober 1919 selbstlos, pflichtgetreu in unserer Gemeinde wirkte, bis er uns am i*Vvi>n £"3 5680 durch den Tod entrissen wurde. Auf dem Friedhofe birgt ein Ehrengrab die sterblichen Reste dieses Mannes, der durch seine ernste, unbeugsame Festigkeit in seinem Amte, als Obmann des Rabbinerverbandes und als geistlicher Lehrer sich ein ehrenvolles Gedenken erworben hat 45). Wir stehen, nunmehr vor der Darstellung des jüdischen Lebens unserer Gemeinde im letzten Jahrzehnte. Zuvor haben einige wichtige und -wertvolle Institutionen, deren Anfänge tief in der Vergangenheit wurzeln, die aber auch noch in der Gegenwart bewährte Arbeit leisten, ein Recht auf Würdigung. Die israelitische Schule und ihre Geschichte. Ein alter Besitz unserer Gemeinde ist die Israelitische öffentliche Schule. Wir wissen, daß schon am Ende des 18. Jahrhunderts eine jüdisch-deutsche Schule in Teplitz bestand 40) und daß die Gemeinde von jeher einen großen Wert auf ihre Erhaltung und Ausgestaltung gelegt hat. Verschiedene Male hat die Stadtvertretung, welche, wie erwähnt, laut Vertrages die Erhaltung der Schule übernommen hatte "), versucht diese Last abzuwälzen. Erst in der jüngsten Zeit ist von Seite gewisser Gruppen ein vergeblicher Vorstoß unternommen worden. Die Entwicklungsgeschichte der Öffentlichen isr. Schule ist erst seit dem Jahre 1885 in einer Chronik niedergelegt, der wir die wichtigsten Daten entnehmen wollen 48), Am 5. Mai 1885 wurde mit stadträtlichem Dekret der bisherige Religionslehrer an der Volks- und Bürgerschule in Teplitz Hermann Freund zum Leiter der isr. Schule bestellt49). Neben ihm wirkt als Unterlehrerin Frl. Malvine Karpeles. Das Ansuchen des Leiters um definitive Anstellung wird vom Magistrate abgelehnt, da die Schule nicht öffentlich sei, demnach die Lehrer nicht öffentliche Beamte. Im Jahre 1888 verheiratet sich die Lehrerin Karpeles, für welche Frl. Regina Altschul eintritt. Die Kultusgemeinde richtet ein vom Bezirksschulrat befürwortetes Ansuchen um das öffentlichkeitsrecht für die Schule an den Landesschulrat (1889), welches erst geraume Zeit später erteilt wird. Im Jahre 1890 erhält die Schule zwei Zimmer im Schulgebäude am Schulplatz. Eine Zeitlang vertritt Lehrer Simon die beurlaubte Lehrerin Altschul im Religionsunterricht, Josef Kohn übernimmt dann den Unterricht für sie, Frl. Olga Popper erteilt den Handarbeitsunterricht 1892. Aushilfsweise war auch 1888 Frl. Anna Fiedler an der Schule tätig. Am 14. Oktober 1904 stirbt die Lehrerin Regina Altschul, Katharina Swoboda und Isabella Neumann treten an ihre Stelle. Noch immer wartet die Schule auf das öffentlich-fceitsrecht, das ihr endlich mittels Dekretes vom -24. Aftß Oktober 1906 erteilt wird rückwirkend vom Anfang des Schuljahres an. Seit 17. September 1906 ist Frl. Irma Klein durch stadträtliches Dekret als Lehrerin an der Schule50). Der äußerst bewährte Schulleiter Hermann Freund tritt am 1. August 1909 mit belobender Anerkennung des Bezirksschulrates und des Rabbinates in den wohlverdienten Ruhestand, für welchen der bisherige Hilfslehrer an der Kommunalhandelsschule Adolf Kahn als provisorischer Leiter eintritt. Der Ausbruch des Krieges veranlaßte natürlich auch für die jüdische Schule fühlbare Unregelmäßigkeiten Verlegungen der Schulräume, Ausfall von Unterrichtsstunden, einen Zuzug von Flüchtlingskindern, für die in Turn eine besondere Flüchtlingsschule eröffnet wurde und erst 1918 trat mit Rückverlegung der Unterrichtsräume in die ehemalige Schule in der Alleegasse wieder ein geregelter Unterricht ein. Oberlehrer Adolf Kahn Oberlehrer Hermann Freund Im Jahre 1928, nach der dem Leiter Adolf Kahn erteilten Genehmigung der angesuchten Pensionierung, übernimmt Frl. Klein die provisorische Leitung, unterrichtet bis zum Eintritte der Aushilfslehrerin Frau Hedwig Ungerleider im Herbst 1929 in allen Klassen und übernimmt mit stadträtlichem Dekret vom 20. August 1929 die Leitung der Schule. Frl. Klein konnte also mit dem verflossenen Schuljahre auf 25 Jahre gewissenhafter, mühevoller Tätigkeit an dieser Unterrichtsanstalt zurückschauen. Am Beginne des Schuljahres 1930/1931 trat Frl. Margit Brecher ihren Dienst an dieser Schule an, nach deren Abgang im Jahre 1931 Frau Ungerleider wieder an dieser Schule tätig ist. Die Frequenz an dieser Schule zeigt eine interessante Linie. Hermann Freund beginnt seine Lehrtätigkeit 1885 mit 28 Zöglingen (16 Knaben und 12 Mädchen), 1893 hat die Schule die bisher höchste Schülerzahl von 109 Kindern (60 Knaben und 49 Mädchen) und seitdem sinkt der Besuch mit Ausnahme der Kriegsjahre, in welchem die Flüchtlingskinder die Besuchsziffer bis auf 100 wachsen lassen. Nur das Jahr 1908/10 zeigt mit über 100 Zöglingen die höchste Zahl und das Jahr 1925/26 die niedrigste Ziffer mit 34: seitdem nimmt der Besuch wieder zu. Im Schuljahre 1929/30 war die Schule in ihren zwei Klassen mit je zwei Abteilungen von 64 Schülern (31 Knaben und 33 Mädchen) besucht. Die Schule wurde in der früheren Zeit von den Inspektoren und außerdem von den von der Kultusgemeinde 1890 beauftragten Ortsschulaufsehern Josef Rindskopf und Dr. Karl Kraus und Ludwig Steiner (1910) beaufsichtigt. Das Rabbinat hält noch jetzt die alljährlichen Religionsprüfungen am Ende des Schuljahres ab. Unsere jüdische Schule bildete seit jeher eine wertvolle Stätte, an welcher neben einem gründlichen Unterrichte in den allgemeinen Fächern auch der jüdischen und religiösen Geistes- und Herzensbildung der Kinder gebührende Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Da die Schule am Sabbath geschlossen ist und seit dem Jahre 1919/20 auch Sonntags der Unterricht entfallen muß, ist sie auch ein religiös :zu bewertender Faktor unseres jüdischen Lebens, dem eine weitere gedeihliche Entwicklung zu wünschen ist. Jedenfalls wird die Gemeinde allen Bestrebungen, dieses alte jüdische ideale Besitztum zu schädigen, zu begegnen wissen. Vereine. Zu den ältesten Einrichtungen unserer Gemeinde zählen auch wohltätige Institute, die schon über 100 Jahre, z. T. vermutlich schon weit älter sind. Die Aufgaben der Gemeinde in religiöser Beziehung werden zum Teile erfüllt von der ehrwürdigen alten „Chewra-Kadischa", der heil. Beerdigungsbrüderschaft. Die Geschichte dieser Brüderschaft, deren Ursprung weit zurückgreift — wir begegnen ihr in unserer Darstellung schon am Anfang des 19. Jahrhunderts, aber sie ist gewiß viel älter —, bedarf noch der eingehenden Erforschung und Darstellung. An ihrer Spitze steht seit dem Jahre 1931 Ingenieur Wilhelm Buchwald, der, wie sein Vorgänger Dr. Glässner, mit seinen Mitarbeitern die Aufgaben dieses religiösen Vereines gewissenhaft und würdig versieht. Einer der verdienstvollsten Mitbegründer der jetzt noch bestehenden Chewra und ihr Führer war Abraham Lippmann und zur Zeit der Amtierung Dr. Rosenzweigs Samuel Fürth. Die Chewra ist •— wohl geleitet — der Kreis, in welchem in unserer Gemeinde noch ein Rest altjüd. Geistes sich erhalten hat. Unter der würdigen Leitung des Obmannes Ing. Buchwald übt sie in vorbildlicher Weise unter treuer Mitarbeit ihres Vorstandes und der Brüder die Pflichten, die ihr Statuten und Religion auferlegen, aus. Wir haben die pflichtgetreue Arbeit des derzeitigen 1. Tempelvorstehers Adolf Karpeles in ihr bereits erwähnt51). Es würde Zweck und Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten, alle die Männer aufzuzählen, die seit Jahrzehnten und Jahren opferfreudig den Aufgaben der Chewra dienen. Besonders erwähnt seien Friedrich Robitschek, Rudolf Adler, Rudolf Steiner, Richard Robitschek, Rudolf Stein, die diesem Ehrenamte hingebend obliegen. Im Jahre 1929 vereinigte nach 14 jähriger Unterbrechung ein Brudermahl (Chewra Seudah) die Brii-■ der und Freunde, wobei der Obmann Ingenieur Buchwald einen Rückblick auf die Entwicklung entwarf und der Dank der Gemeinde in anerkennenden Worten vielfach und herzlich zum Ausdrucke kam. Alljährlich am Vorabend der ersten Schewat, dem Gründungstag der Chewra, findet ein Bußgottesdienst mit einer Predigt der Rabbiners statt. Seit vielen Jahrzehnten sind mehrere Vereine in unserer Gemeinde tätig, welche religiös-humanitären Aufgaben sich widmen. Einer der ältesten ist das „Israelitische Lokalarmeninstitut" welches anläßlich des fünfzigsten Geburtstages Kaiser Ferdinand V. am 19. April 1843 gegründet worden