Erben und Jonas A. Porges. Auch unter den Einkäufern für fremde Häuser, welche damals zum Unterschied von heute nach R. kamen und nicht wie später "aufgesucht werden mußten, sind in erster .Reihe die Prager zu nennen. Sie kauften meist im „Deutschen Hause11 und in den Tuchpressen ein. Der Tuchplatz galt bekanntlich als Tuchbörse. Dort hatten meist auch die Wiener, Budapester, Brünner und Jägerndorfer Tuchkaufleute ihre eigenen Einkäufer. Viele Firmen ließen den Einkauf durch Tuchkaufleute besorgen, die in R. ansässig waren. So ließ beispielsweise die Fa. Latzko & Popper aus Pest durch das Haus Irmenbach, die dortige Fa. Barber durch Conrath, die Wiener Fa. M. & J. Mandel durch P. Schnabel einkaufen. Beträchtliche Posten kauften Braun & Herzka aus Pest, die zwei Firmen Sorer aus Briinn, Geringer & Quittner aus Wien usw.10). Doch die Darstellung des jüd. Tuchhandels am hiesigen Platze in den letzten Jahrzehnten würde zu weit führen, zumal diese Arbeit die Entwicklung bis zum J. 1860 sich zum Ziele gesteckt hat. Nur so viel sei bemerkt, daß neben dem Tuchhause Ludwig & Karl Kraus, das als eine der größten und führendien Firmen in der alten Monarchie galt, eine große Anzahl seriöser Tuchhändler zum Aufschwung der hiesigen Erzeugung und des hiesigen Handels wesentlich beitrugen. Die Reicheubei'ger Tuchmacherzunft und die Juden. Die Tuchmacherzunft in R. trat verhältnismäßig erst spät auf den Plan, als die Zünfte anderswo schon längst ihre Blütezeit hinter sich hatten. Sie waren überall der Hort der Lokalinteressen. Der Fremde, der sie gefährdet, gilt als Feind. Mit Argusaugen überwachten die Zünfte ihre Privilegien und duldeten nicht die geringsten Übergriffe anderer Kreise. Es war der reinste Monopolien-Geist, der das Gefühl für Interessengemeinschaft befehdete, ja gar nicht aufkommen ließ. Deshalb hätten die Tuchmacher am liebsten den Rohstoff direkt vom Urpro-duzenten bezogen und das Fabrikat direkt an die Verbraucher verkauft, sohin jedes Zwischenglied ausgeschaltet. Für die die Produktion mächtig anregende und fördernde Funktion des Handels hatten die Zünfte kein Verständnis. Sie betrachteten den Handel als unproduktiv und parasitär. Sie übersahen eben, daß wer den Produkten der Arbeit Absatz verschafft, ihren Wert erhöht, also auch Werte schafft. Dazu kam noch ein psychologisches Moment. Die Tuchmacher hatten innere, gleichsam persönliche Beziehungen zur Ware, die sie erzeugten. Es war ein ehrsames Handwerk. Diese Leute haben sauer ihr Brot verdient, überaus emsig und unverdrossen gearbeitet, ja gerobotet und litten unter der Leibeigenschaft, unter der rücksichtslosen Bedrückung der Grundherrschaft und insbesondere der oft habgierigen Beamten. Die persönliche Mühe nun, die man an das Fabrikat verwandte, vergrößerte ihren Wert in den Augen der Erzeuger. Die Haltung der Reichenberger Tuchmacherzunft den Juden gegenüber war typisch. Sie bekämpfte im Juden in erster Reihe den Fremden, dann den Zwischenhändler, überhaupt den Kaufmann. Ihr Kampf galt vor allem den jüd. Wollhändlern. Ihren Bestrebungen, ihn einzudämmen, setzte 1811, als schon eine liberalere Gewerbegesetzgebung inauguriert wurde, die Kreishauptmannschaft einen Dämpfer auf. Sie lehnte alle reaktionären Vorschläge mit der Begündung ab: „Die Juden haben kein ausschließendes Befugnis zum Handel mit Wolle, und sonstigen Landesprodukten, es ist vielmehr ganz frei. Die Juden vom Produktenhandel auszuschließen, ist so wenig zulässig, als es im allgemeinen zweckwidrig wäre, durch verminderte Konkurrenz Wohlfeilheit herbeizuführen." Eine ständige Klage der Tuchmacherzunft bildete die Ausfuhr der Wolle seitens der jüd. Händler, wodurch angeblich nur mindere Qualitäten im Lande blieben. Das Allheilmittel erblickte die Zunft im Verbot der Wollausfuhr. Durchschnittlich alle fünf Jahre ließ sie ein Majestätsgesuch abgehen, die Wollausfuhr zu verbieten. Im Widerspruch mit diesem ewigen Lamento steht die Antwort der Zunft, die sie auf ein Wollangebot aus Wien erteilte. „Die stärkeren Fabrikanten sind mit feinerer Wolle, wie sie zu ihrem Gewerbe nötig ha-htm, jederzeit versehen." Das Kreisamt war objektiv genug, die „übermäßige Verteuerung der Tuche und die Beschwerde gegen den Handel der Juden mit Wolle, sowie gegen die Wollausfuhr als unberechtigt" zurückzuweisen. Die fremden Tuchhändler erregten oft den Zorn der Zunft. Wiederholt richtet sie Eingaben an den Magistrat gegen ein Dutzend Ausländer, weil sie unappretierte Tuche einkaufen und sie auf eigene Kosten färben, drucken und appretieren lassen. Abgesehen davon, daß dem Färberhause der Zunft der Nutzen entzogen wird, wird in die Gerechtsame derselben eingegriffen, ihr guter Ruf geschädigt. Was später als „Manipulation" nicht nur erlaubt, sondern auch löblich war, war damals sehr verpönt. Man durfte ausschließlich nur Ganzfiibri-kate kaufen. In dien umfangreichen Beschwerdeschriften der Zunft ist nur von Fremden die Rede, die Juden werden mit keinem Sterbenswort erwähnt. Aber auch sie trifft nachher der Unwille der Zunft, weil sie dem Beispiel des Schweizer, Griechen und anderer fremder Handelshäuser folgten. Sie verwahrt sich dagegen, daß Juden Nopper und Zustrei-cher aufnehmen, außerdem aber die Tuchgattungen „bloß aufs Auge des jüd. Handels" bestellt sind, beschwört den Magistrat, durch kraftvolle Mittel einzuschreiten, damit „kein Tuchbereiter und kein Tuch-scherer künftighin der Judenschaft dergleichen, Tuch zuzurichten sich unterfangen dürfe". Mit einem Anfluge leiser Ironie gab der Magistrat ihren Ratschlag bekannt: „Da die ganze Zunft, folglich auch alle Meister um Abhilfe bäten, es wäre schwer zu glauben, daß es Meister geben würde, die ihrer eigenen Bitte zuwider handeln sollten, Die Zunft-Eltisten hätten Namen anzuzeigen, damit man gegen die Tuchmacher, als auch Tuchscherer und Tuchbereiter, dann aber auch Juden vorgehen könne." Die Zunft vermochte aber nur einen einzigen Prager Juden zu nennen, der rohe Tuche kaufte. Erst 30 Jahre später nannte sie noch 6 Prager jüd. Firmen. Die Zahl der Angezeigten war gering genug. Nichtsdestoweniger jammerte die Zunft: „Wenn diesem Unfuge nicht gesteuert werde, so iverden die Juden nach dem ihnen angeborenen Hange alle Gerechtsame eines Tuchmachers ausübend Aus den Anfangsworten einer Petition der Zunft an die Stadtbehörde: „Nun erscheinen auch die Juden in die Reihe derer......." geht deutlich hervor, daß die sogenannte Manipulation nicht von Juden eingeführt, sondern von ihnen den Fremden nachgeahmt wurde. Die Behauptung Siegm. Mayers 20): „Die beiden Zweige (nämlich Manipulation und Konfektion) sind durchaus Produkte jüd. Han-delsgeistes," trifft für das erstere nicht zu. Die Juden waren in dieser Beziehung bloß gelehrige Schüler. Auch gefühlsmäßig rückte die Zunft von denen ab, die kein Ganzfabrikat kauften. „Sonst ging der Tucheinkaufende zum Tuchmacher selbst, besah die Ware, überzeugte sich selbst, wie mühsam dieses Fabrikat erzeugt werde. Jetzt erspart sich der Einkäufer jeden Anblick der mühsamen Anstrengung des Fabrikanten. Er sitzt bequem im Einkaufszimmer, kauft rohe Loden ein und läßt sie auf eigenen Namen verfertigen. Dies kann nicht so weit ausgedehnt werden, daß Individuen, zumal Israeliten, die eigenmächtig den Standpunkt ihrer Handlung nicht ändern dürfen, sich solche Rechte anmaßen." So bequem, wie die Zunft es sich vorstellte, war die Wa-renmanipulation denn doch nicht. Die individuellere Gestaltung der Ware und die Kalkulierung verursachten auch Denkarbeit und Mühe. Eine weitere Ursache der Reibungsfläche zwischen Zunft und Juden bildeten die Tuchträger. Diese, für R. so charakteristische Erscheinung, ja eine Spezialität der Stadt, fand in den Augen der Zunft keine Gunst. Sie bezeichnete die Tuchträger, die zumeist urwüchsige Leute waren, als „den Urstoff von allen Übeln". Diese Originale sind nun ausgestorben und von diesen Gestalten kündet nur noch eine plastische Nachbildung, ein Hauszeichen in der Lerchenfeld-straße, das Werk des Bildhauers Kolaczek. Die Tuchträger waren den Juden treu ergeben und erwiesen ihnen wesentliche Dienste. Sie trugen die fertigen, wie auch unappretierten Tuche auch in die Wohnungen der Juden. Im übrigen führten sie auf dem Platz vor dem ehemaligen „Deutschen Haus", dier heute noch den Namen „Tuchplatz" führt, das Zepter. Verkaufsstände und Ähnliches gab es nicht. Hier wurden die Tuche über den Rücken der Tuchträger geschlagen, herumgezeigt, beschaut und begutachtet. Wiederholt verlangte die Zunft vom Magistrate ihre Bestrafung, weil sie Juden Waren bringen. Auch der Historiker der Zunft, der Sekretär der Tuchmachergenossenschaft Ludwig H ü b n e r, ist nicht frei von Vorurteilen. Sowohl in seinem Hauptwerke, das er anläßlich des 300jährigen Jubiläums herausgab, „Geschichte der R. Tuchmacherzunft", wie auch in seinen zahlreichen lokalgeschichtlichen Aufsätzen, verleiht er seiner Abneigung gegen das Judentum Ausdruck. Dem so verdienstvollen Chronisten, der auch das städt. Archiv musterhaft ordnete, fehlt ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge der Wirtschaft. Im Turmknopf der Dekanalkirche ist ein von Hübner verfaßter Bericht vom 10. August 1880 über die wichtigsten Ereignisse jenes Jahres auf dem Gebiete der heimischen Wirtschaft hinterlegt. Dieser Bericht, der die Unterschrift der Verwaltungsmitglieder trägt, enthält Verunglimpfungen der jüd. Wollhändler und Tuchkaufleute. Im J. 1884 rief H. ein „Vigilance-Komitee" ins Leben, dessen judenfeindliche Tendenz in die Augen sprang. Da gab es Proteste auch seitens christl. Firmen, Preßfehden, Spottgedichte und viel Aufregung. Die Zunft wurde von der Tuchmachergenossenschaft abgelöst. Ein moderner Forscher stellt der Reichenberger Tuchmachergenossenschaft ein Ehrenzeugnis aus. „Sie bildete mit ihren regen Bemühungen für die Mitglieder eine seltene Ausnahme in Österreich." Die engherzige Sonderstellung weicht einer freieren Auffassung, einem weiteren Horizont. An Stelle des Handwerks tritt die Fabrik. Erblickte ersteres im jüd. Kaufmann zu Unrecht einen Feind und Hinderer, erkennt letztere in ihm den Freund und Förderer. Judea als Wollhändler. Der jüd. Wollhandel war für das Wirtschaftsleben Reichenbergs von geradezu zentraler Bedeu- t u n g. Bald nach Gründung der Zunft genügte nicht mehr die Schafzucht Reichenbergs und der nachbarlichen Herrschaften. Der Wollebedarf wurde immer größer und der Rohstoff mußte aus größeren Entfernungen herbeigeholt werden. Die adeligen Herren waren nicht gewillt, die Wolle den einzelnen Tuchmachern in . kleineren Mengen abzugeben, es war ihnen vielmehr erwünscht, sie in größeren Mengen an wenige Käufer abzusetzen. Wenn wir auch aus dem 17. Jht. nur wenig Nachweise dafür haben, so genügen die Zeugnisse dennoch zur Erklärung der Tatsache, daß gleichzeitig mit der Entfaltung des Zunftgewerbes jüdische Händler für Deckung des Wollbedarfes sorgten. Daß sie sich, wie Hübner behauptet, nach und nach jener Rohstoffquellen bemächtigten, die früher diie Tuchmacher selbst in den Händen hatten, trifft nicht zu. Denn die Quellen haben die Juden" erst erschlossen. Schon Mitte des 18. Jhts. führt die Zunft beim Grafen bewegliche Klage: „Bereits durch lange Jahr, nicht alleinig die umliegende Judenschaft, sondern sogar die Prager Juden Jeder Zeit die Woll in R. einführen." Im J. 1810 erstattete der Oberamtmann Markowsky der gräfl. Herrschaft einen vertraulichen „gehorsamsten" Amtsbericht. Unter anderem führt er darin aus: „Es iväre freilich zu ivünschen, daß der so beträchtliche Wollhandel R. nicht größtenteils in Händen der Juden sich befände. Der Unterzeichnete hat als Magistrats-Rat u. Zunftinspektor schon damals alles aufgeboten, diese Art von Monopol zu zerstören und den Wollhandel aus den Händen der Juden zu reißen. Es haben sich auch wirklich mehrere einheimische Tuchfabrikanten mit vereinten Kräften zum Wolleinkauf herbeigelassen, aber sie konnten mit den jüd. Wollhändlern, die noch größere Aufopferungen sich gefallen ließen, die Konkurrenz nicht aushalten." Die „größeren Aufopferungen" waren es, die dem jüd. Wollhandel ihre herrschende Bedeutung gaben, die alle Anstrengungen, ihn auszuschalten, zu nichte machten. Auf seine Verdrängung zielte auch das Vorkaufsrecht d,er Tuchmacher hin, das wiederholt zugesichert und erneuert wurde, wonach „allen Nationen, vor allen aber den Juden gegenüber", der Vorkauf der Wolle auf den Märkten garantiert sei. Auf Verwendung des Grf. Matthias v. Gallas erklärte Kön. Ferdinand III. ausdrücklich, daß das Vorrecht des Wollkaufs auch den Reichenberger Tuchmachern zukomme. Die Bedeutung des jüd. Wollhandels für den Reichenberger Platz mögen nur einige Zahlen illustrieren. Im J. 1779 — so wird es in einer Eingabe der Zunft ausgeführt — wurden in R. 36.076 Stück Tuch erzeugt. Wenn die dazu erforderliche Wolle, der Leuten (d. i. Zentner) im Durchschnitt ä 85 fl. gerechnet wird (die Preise variieren zwischen 50 bis 250 fl.), so ergibt sich die Summe von 1,226.380 fl. Im J. 1797 wurden 35.594 Stück Tuche erzeugt, da betrug der Wert der dazu erforderlichen Wolle von ungefähr 16.000 Zentnern 1,280.000 fl. Im J. 1826 wurden von den Tuchmachern 16.886 Zentner, von den Fabrikanten 1883, zusammen 18.769 Zentner verbraucht. Preis durchschnittlich ä 80 fl., macht es im Ganzen 1,501.520 fl. aus21). 1832 wurden 52.400 Stück Tuche erzeugt. Dazu war ein Wo'llbedarf von rund 28.000 Zentner nötig. 1852 wurden 36.000 Zentner Schafwolle verbraucht. Daraus wurden auf etwa 2000 Webstühlen Tuche und Stoffe 30 bis 50 Ellen lang erzeugt. Den Großteil der Wolle führten die Juden ein. Auf der Stadtwage, jetzt ein Schaustück im nord-böbmischen Gewerbemuseum, damals aber das Wahrzeichen von Alt-Reichenberg, mußte die Wolle ge-