Im J. 1691 erbte Herrmann Jakob Graf Czernin von Chudenitz die Neuhauser Herrschaft. Unter dem Grafen Czernin nahm die Neuhauser Judenschaft gewissermaßen einen Aufschwung. Trotz dem kaisl. Reskripte vom 31. Juli 1725, wonach der Numerus clausus von 4 jüd. Schutznummern für N. gesetzlich festgesetzt wurde, vermehrte sich die Zahl der Juden in N. dadurch, daß die Grafen Czernin seit dem J. 1735 das herrschaftl. Branntweinhaus (Spiritusbrennerei) samt Viehmästung und die Flußsiederei (Pottascheerzeugung) an Juden verpachteten, daß ferner seit dem J. 1704, wo eine jüd. Kompagnie das Tabakgefälle in Österreich und den Ländern der böhm. Krone gepachtet hatten, der Tabakhauptverlag für die Stadt N. und den Neuhauser Bezirk einem Juden in Pacht gegeben wurde. Diese sogenannten „Bestaindjuden" (Pächter) durften mit ihren jüd. Angestellten in der Stadt wohnen ohne Rücksicht darauf ob die Zahl der 4 Schutzjuden voll war oder nicht. Auch nahm der Wohlstand der 4 Schutzjuden zu, die einen schwunghaften Handel mit Kolonialwaren, Schafwolle und anderen Produkten führten und unverheiratete jüd. Angestellte halten durften, iso daß im J. 1779 bereits 9 jüd. Familien mit 67 Seelen und im J. 1795 11 Familien mit; 76 Seelen in N. wohnten. Der Neuhauser Stadtrat,-namentlich aber die Neuhauser Kauf- und Handelsleute protestierten zu wiederholten Malen durch Eingaben an die Neuhauser Grundobrigkeit, an das Kreisgericht in Tabor, ja sogar durch eine Eingabe an „Ihre kaiserl. Majestät" wegen der Vermehrung der Juden in der Stadt, namentlich aber gegen den freien Handel derselben, indem sie sich auf ihre uralten, vom Kaiser Karl VI. am 13. Jänner 1739 bestätigten Privilegien beriefen. Dadurch wurden den Juden in ihrem Handel wohl Schwierigkeiten bereitet, doch konnte die Bürgerschaft durch ihre Proteste die Einschränkung des jüd. Handels gemäß dem "Wortlaute ihrer Privilegien nicht durchsetzen. Zu den reichsten Juden in N. gehörten im 18. Jht.: Abraham Schwab Bobele (gestorben um 1769), Jakob Kahn oder Kohn (gest. um 1770), die Brüder Isaac Bobele (gest. 1795), und Samuel Bobele (gest. 1802), und der Tabakverleger Jakob Wiener (gest. 1803); im J. 1800 zahlte die Neuhauser Judenschaft an Vermögenssteuer 2726 fl., an Kriegssteuer 710 fl., an Schutzsteuer 20 fl., zusammen 3456 fl., Ferner an Verzehrungssteuer (9 Familien mit 73 Personen) 595 fl. Dazu kamen noch die Abgaben an die Stadt und an die grundherrliche Obrigkeit. Im J. 1801 (19. Mai) wurde die Stadt N. von einer verheerenden Brandkatastrophe heimgesucht, der auch die jüd. Häuser und Warenlager, sowie die Synagoge zum Opfer fielen. Die Juden - kamen um ihr Hab und Gut. Die Witwe des Isaac Bobele, nunmehr verehelichte Anna Lewi, hatte bei den durch den Brand nahrungslos gewordenen Tuchmachern, , für gelieferte Schafwolle uneinbringliche Außenstände von ca. 40J000 fl. Von dieser Katastrophe konnten, sich die Juden nur langsam erholen. - . * Trotz der geringen Zahl der jüd. Familien bildete die Neuhauser Judenschaft eine Gemeinde, welcher ein von der Grundobrigkeit ernannter Judenrichter vorstand. Bis ins 18. Jht. hatten die Neuhauser Juden eine Betstube in dem einst von Adam Glas gekauften Kneyslischen Hause. In der zweiten Hälfte dieses Jhts. wird bereits von einer „Schul" oder Synagoge in einem besonderen Gebäude gesprochen, welche im Q J. 1770 umgebaut und vergrößert wurde. Nach der Feuersbrunst von 1801 wurde dieselbe wieder aufgebaut und bestand unverändert bis zum J. 1867. Im J. 1668 wird Samuel Aron, ein Urenkel des Glasermeisters Adam, als Rb. von N. genannt. Ein Rb. wird auch im J. 1775 in den. Neuhauser Stadtbüchern erwähnt, der in einem Christenhaus, abgesondert von den Christen, wohnte. Seit dem Ende des 18. Jhts. war N. der Sitz des Kreisrabbinats des Bechiner Kreises. Als Krb. wirkte bis 1817 Abraham Fischmann- Liebschitz, und als dessen Nachfolger Samuel Lob Kauders bis zur Verlegung des Kreisrabbinates nach Koloděj. In N. wirkte dann Samuel Flussmann als Rabbinats-verweser. Wie in allen kleineren Gemeinden Böhmens, hielten auch die wenigen jüdischen Familien in N. einen Schächter und Vorbeter, der zugleich als Lehrer die Kinder unterrichtete. Seit dem J. 1782 besuchten die jüd. Kinder in N. die öffentliche städt. Normalschule. Doch blieb die jüd. Schule auch fernerhin für den Religionsunterricht bestehen. Der Neuhauser jüd. Friedhof wurde um das J. 1400 errichtet, 1576 wurde er vergrößert und im J. 1773 vom Grafen Czernin aus eigenen Mitteln mit einer Mauer umgeben, welche Baukosten 1100 fl. jedoch die Neuhauser Judenschaft dem Grafen in Raten zurückzahlte. * Mit dem Erlöschen der grundherrl. Privilegien des Adels durch die Revolution des J. 1848 verloren auch die veralteten Neuhauser Stadtprivilegien und damit auch der jüd. Numerus. clausus seine Gültigkeit. Die J. G. wuchs langsam von Jahr zu Jahr, so daß sie bereits nach einem Jhzt. 40 Familien zählte. Das war manchen chauvinistischen Bürgern ein Dorn im Auge, weshalb sie den Haß gegen die Juden schürten. Es kam daher im J. 1859 zu Ausschreitungen gegen die Juden, angeblich wegen unpatriotischer Äußerungen des jüd. Arztes Dr. Hamburger und des Kaufmannes Mora wetz. 3 Jahre später erhielten Neuhauser christliche Hausbesitzer anonyme Briefe mit der Drohung, daß ihre Häuser in Brand gesteckt würden, wenn sie nicht bis Ende März 1863 ihren jüd. Mietern die Wohnungen und Läden kündigen würden. Es kam dann die Judenemanzipation vom J. 1867. Selbst die chauvinistischsten Elemente der Neuhauser Bürger gewöhnten sich langsam daran, die Juden als gleichberechtigte Staatsbürger zu betrachten. Man kam schließlich-zur Einsicht, daß die Vermehrung der Juden in der Stadt den Stadtbewohnern durchaus nicht zum Schaden gereicht hat. Die Juden hatten durch ihre Regsamkeit und Geschäftstüchtigkeit Handel und Verkehr in der Stadit in Schwung gebracht. Juden hatten in der Stadt und Umgebung Industrien gegründet, wodurch Männern und Frauen Arbeit und Brot verschafft wurde. Auch das Verhalten der Neuhauser Juden als Staatsbürger und Menschen war achtunggebietend. Der Pächter der herrschaftl. Spiritusbrennerei und des Brauhauses Josef Kaufried war wegen seiner Wohltätigkeit, die er in origineller Weise betätigte, in der Stadt und in der Umgebung eine populäre Persönlichkeit. In N. wirkte Jhzte. hindurch als Advokat Dr. Eduard L e d e r e r, als tschechischer Schriftsteller unter dem Namen Leda bekannt, der wegen seiner tschechisch-nationalen Gesinnung und Wirksamkeit' sich der größten ' Achtung aller. bürgerlichen Kreise erfreute. Dem Wirken dieser .und anderer Neuhauser Juden war es zu verdanken, daß seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jhts. in N. das beste Einvernehmen zwischen den christl. Bürgern und Juden herrschte. Dieses gute Einvernehmen wurde jedoch nach dem Ausbruche des Weltkrieges im J. 1914 getrübt, da die Čech. Bürgerschaft den Juden ihren österr. Patriotismus übel nahm. Daß die Juden Österreichs in diesem Kriege einen Sieg des zaristischen Rußland, jenes autokratisch-absolutistischen Staates mit seinem berüchtigten jüdischen „Siedelungsraycn" und offiziös bestellten Judenpogrommen nicht herbeiwünschen konnten, daß die Juden wie in den Ländern der Ententestaaten, so auch in denen der Zentralmächle nicht anders konnten, als den Sieg der Staaten zu wünschen, in denen sie als freie Bürger lebten, und in deren Armeen sie kämpften, wie sie heute als freie Bürger der neu entstandenen Staaten im Kriegsfalle dasselbe auch für diese tun würden, solchen Erwägungen war die Čech. Mentalität in den Kriegsjahren nicht zugänglich. Es mag ja sein, daß in den cech. Städten Böhmens hie und da ein Jude seinen österr. Patriotismus in einer ostentativeren Weise zur Schau stellte, als es der Takt und die Rücksicht auf die Čech. Bevölkerung geboten hätte. Doch gab es in diesen Städten ja auch aufrichtig cech. denkende und fühlende Juden, die sich während des Krieges mit ihren Čech. Mitbürgern solidarisch fühlten. Zu diesen gehörte in N. unte*- anderen Dr. Edvard L e d e r e r-L e d a, der als politisch „verdächtig" von dem Neuhauser Stationskommando beobachtet, dessen Korrespondenz geöffnet wurde und der es nur dem -damaligen Chef der politischen Behörde, Stattihaltereirat Číška zu verdanken hatte, daß er der Verhaftung; und der Anklage wegen Hechverrats entging. Die Juden galten trotzdem alle als österr. Patrioten (rakušáci) und die Stimmung der Bevölkerung gegen dieselben war keine freundliche. Es kam dann die denkwürdige unblutige Revolution des 28. Oktober 1918, welche dem Čech. Volke zum ewigen Ruhme gereichen wird. Auch in N. wurde die Entstehung der čechosl. Republik in aller Ruhe würdig gefeiert. Die ruhige, friedliebende Bürgerschaft hegte keine Rachegedanken gegen die Juden. Am 15. Jänner 1919, es war ein Mittwoch und Wochenmarkt, da sah man um ViW Uhr vormittags eine Schar fremder, verdächtig aussehender Männer in Militärkappen und teilweise in Militärblusen mit großen, an der Front zum Durchschneiden der Drahtverhaue gebrauchten Metallscheeren bewaffnet wie zur bestellten Arbeit -durch die Stadt ziehen. Am Wilsonplatz machten sie vor dem Laden des Eduard L a m p e 1 halt, dessen, in aller Eile herabgelassenen Rollbalken sie fachmännisch durchschnitten und die Schnitt- und Galanteriewaren ausplünderten. Von da zogen sie planmäßig von einem jüdischen Geschäftsladen zum anderen, die alle erbrochen undi ausgeplündert wurden. Außer dem Lamplischen Geschäfte wurden der Reihe nach ausgeplündert die Geschäfte: Alois Guth, Rudolf Reich, Em. Brabec, Samuel Kohn, Lederer & Beneš, Moritz Freund, Gustav Reiner, Bedřich Weil und Leopold Fleischner. Verschont blieben nur einige kleinere Geschäfte und das Galanterie-und Kurzwarengeschäft des Josef Löwy am Wilsonplatze, da dessen Hausherr, der Apotheker Rösch, den Plünderern mutig entgegentrat, so daß sie von dem Laden abzogen. Es wurde zwar eine strenge straf-gerichtliche Untersuchung gegen die Plünderer geführt, und eine Anzahl Personen aus der Stadt und der Umgebung, bei denen geplünderte Waren gefunden wurden, zu Freiheitsstrafen verurteilt. Doch die unbekannten Urheber und Arrangeure gingen straf- los aus. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis die ausgeplünderten Geschäftsleute ihre Geschäfte wieder öffnen konnten. Der 15. Jänner 1919 wird in den Analen der Neuhauser jüdischen Gemeinde als schwarzer Tag eingezeichnet bleiben. Mit dem Wachstum der jüdischen Gemeinde stellte sich die Notwendigkeit heraus, die Synagoge zu vergrößern. Am 16. Mai 1867 wurde beschlossen, durch einen Zubau die Synagoge zu erweitern. Im selben J. wurde auch ein „geregelter" Gottesdienst mit Knabenchor und Orgel eingeführt und ein musikalisch gebildeter Kt. angestellt. Wenige Jahre früher wurde Ignatz Bobele Gustav Bobele der Friedhof erweitert. Es war dies ein Verdienst des damaligen K. V., des energischen, modern denkenden Fabrikanten Ignatz Bobele. Wie bereits oben erwähnt, besuchten die jüd. Kinder die Neuhauser deutsche Hauptschule, während sie in der jüd. Privatschüle bloß den Religionsunterricht genossen, welchen Unterricht seit dem J. 1848 der Rbv. Marcus Freund erteilte. Später wurde die Religionsschule in eine deutsche Privatvolksschule umgewandelt, welcher im J. 1875 das öffentlichkeitsrecht verliehen wurde. Zum Oberlehrer, sodann zum Prediger mit den Funktionen eines Rb. wurde in diesem .1. der geprüfte Lehrer und autorisierte Rb. Leopold Thorsch mit einem Gehalte von 750 fl. angestellt. Rb. Leopold Thorsch Rb. Karl Homer Als Herausgeber^ der in N. erschienenen Halbmonatschrift „Israelitische Gemeindezeilung" (Israelitischer Lehrerbote) trat er, leider mit geringem Erfolge, für die Verbesserung der Stellung der Angestellten der jüd. Gemeinden in Böhmen ein, die damals eine äußerst traurige war. Er verließ N. im J. 1886, um als Rb. und Lehrer an der jüd. Schule in Schllan zu wirken, wo er 1911 starb. Dessen Nachfolger als Lehrer der jüd. Privatschule in N. wurde der geprüfte Lehrer Karl Hörne r, wäh-