oft zugrunde, noch ehe es nach Hause'gebracht werden konnte. Dieselben Pächter waren bei uns auch gezwungen, aus dem herrschaftlichen „Gewölbe" die verdorbenen Heringe zu vier Kreuzer das Stück abzunehmen. Im J. 1770 führten die Leute bittere Klage darüber, als eine kaiserliche Kommission unsere Gegend bereiste und die Lebensverhältnisse der Bevölkerung erhob82). Das J. 1848 brachte den Juden endlich mit der Aufhebung aller beschränkenden Gesetze die so lang entbehrte Freiheit. Nun konnten sie endlich auch in die ihnen bisher verschlossenen königlichen Städte, meist die besten Geschäftsplätze, eindringen und: Häuser außerhalb ihres Ghettos, in dem sie bisher in qualvoller Enge zusammengepfercht waren, erwerben, ebenso Grundstücke aller Art. Es dauerte wohl noch einige Zeit, bis man sich in die neuen Verhältnisse eingelebt hatte. Unterdessen war das Verkehrswesen bei uns durch den Bau der böhmischen Westbahn (Prag—Pilsen—Taus—Furth, 1862) verbessert worden und im J. 1876 wurde auch N. mit der Eröffnung der Bahnlinie Pilsen—Eisenstein an das allgemeine Verkehrsnetz angeschlossen. Mit der Bahnbauzeit, die unglaublich viel Geld in unsere arme Landschaft hereinbrachte, begann erst so recht der wirtschaftliche Aufschwung unserer Heimat. Vorher war schon im Gefolge der großen Windbrüche und der sich anschließenden, sogenannten „Borkenkäferzeit" anfangs der 70 er J. von Liebig & Co. eine Dampfsäge und von Moses Bloch eine Zündhölzchenfabrik samt der Erzeugung des benötigten Holzdrahtes in N. eingerichtet worden. Die Firma ging später an Herrn Diamant über. Da sie nur Phosphorzünder erzeugte, ging sie bald ein und das Gebäude brannte im Herbst 1886 nieder. Dann errichtete die Firma Joss & Löwenstein (Prag) um 1885 eine Wäschefabrik in N. (Filiale, mit Ende 1928 aufgelassen). Herr Wilhelm Ekstein, dessen ■Frau aus der alten Neuerer Familie Fleischl-Jano-witzer stammte, verlegte im J. 1895 seine Schleiferei optischer Gläser von Wien nach N. Im J. 1902 gründete Herr Siegfried Bloch (nun Bernt) sein Gabelwerk, die sogenannte Eisenfabrik- beim Neuerner Bahnhof; später, 1925, kam noch die Wäschefabrik Paul Stein & Söhne und 1929 die von Siegmund Ep-stein dazu. Seit jeher war der Getreidehandel nach Bayern (heute Josef Bloch & Söhne) von N. aus lebhaft betrieben worden; später kam auch, was sich in unserer waldreichen Landschaft von selbst ergab, ein lebhafter Holzhandel dazu (Karl Jetter, Sägewerk Siegmund Bernt). Im Laufe des vergangenen Jhts. hatten sich die alten Bettfedernindustrien von A. Klaubers Sohn, dann Otto Fleischl den neuzeitlichen Verhältnissen angepaßt und zu modernen Betrieben ausgestaltet. Alle diese Neuerner Unternehmungen haben große ausländische und zum Teil sogar überseeische Absatzgebiete. Sie haben dadurch, daß sie den Geldstrom nach N. lenken und sehr vielen Familien Brot geben, sehr zum Aufschwünge unserer Stadt beigetragen; während andere Kleinstädte in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind, hat sich die Häuserzahl von 1900 bis 1930 verdoppelt und seit 1860 verdreifacht. . Rechtsverhältnisse. Im alten absolutistisch regierten Staate waren die Untertanen nur der Herrschenden wegen da und Obrigkeiten und Regierungen, Adel und Kaiser bemühten sich in jeder Weise, aus ihren Untertanen, die nur Objekte ihrer Ausbeutungstätigkeit waren, möglichst viel an Geld- und Arbeitsleistungen herauszupressen. Hatte das Volk der „armen Leute", der Bauern, vor allem Arbeit zu leisten, só war es die f Rolle der Juden, der hohen Obrigkeit und zwar sowohl dem Schutzherrn als dem Kaiser, möglichst viel Geld in der Form von allerlei Steuern und Zinsun-gen einzutragen. So bildeten die Juden einen erhebli-. chen Teil des Wohlstandes ihrer Schutzherren. Bis zum Jahre 1850 zahlten die Juden eine eigene Kopfsteuer; der Landtag von 1580 beschloß, es dem Könige zu überlassen, die Juden, die ja seine „Kammerkhechte" waren, nach Wohlgefallen zu taxieren. Eine neue Art der Besteuerung führte Maria Theresia durch. Sie hatte am 18. Dezember 1744 die Verweisung aller Juden aus Böhmen angeordnet, ohne Angabe von Gründen. Man hatte jedoch damals die Juden einer hochverräterischen Neigung zu den Feinden der Kaiserin, den Franzosen, Bayern und Preußen, beschuldigt. Als dann die Kaiserin die Juden der Heereslieferungen halber notwendig brauchte, verlängerte sie ihnen am 29. Juni 1748 die Aufenthaltsbewilligung auf zehn Jahre; sie setzte ihnen aber die Bedingung, daß'ihr die Juden in. Böhmen, Mähren und Schlesien ■zusammen jedes Jahr 300.000 fl. als ordentliche Steuer entrichten sollten. Wer seinen Steueranteil schuldig blieb, verlor das Recht auf den Aufenthalt im Lande und wurde ausgewiesen. [Von der ganzen Summe fiel auf Böhmen ein Anteil von 205.000 fl. Eine eigene Kommission von Deputierten besorgte die Aufteilung der Steuer.] S3). Im J. 1781 wurde verordnet, daß bei der Verteilung der Steuerlast mehr Rücksicht auf den Handelsgewinn und den Familienstand (die Verzehrung) genommen werde. Das Patent vom 24. Oktober 1798 brachte wieder ein neues Steuersystem, weil, wie es im Eingange dieses Patentes heißt, die böhmische Judenschaft bei der seit 15. Mai 1789 bestehenden Steuerpachtung die eingegangenen Bedingungen nicht erfüllt hätte. Es waren nun jährlich 216.000 fl. aufzubringen, und zwar durch eine Schutz- und eine Vermögenssteuer34). Neben den staatlichen Steuern waren aber auch noch Abgaben an die Obrigkeit und an die Gemeinde zu entrichten. Die obrigkeitlichen Schutzzinse, eine Art Kopfgeld des Familienhauptes, betrugen bei uns gewöhnlich 15 fl., für Ärmere 10 fl., für Ober- und Un-terneuern zusammen 260 fl.; dagegen schwankten die Staatssteuern oder „Kontributionen" zwischen 2 und 50 fl. und eine der beiden 1713 genannten Witwen war sogar ganz davon befreit, wie das Verzeichnis der Judenfamilien von 1713 zeigt, das immer auch den obrigkeitlichen Zins (das Kopfgeld) und den Anteil an der „ordentlichen" (staatlichen) Steuer angibt. An die Gemeinde N. waren von den Judenhäusern Wachtgelder, Kamingelder und Grundzinse aufzuführen; der Grundzins betrug 7x/2 Kreuzer. Zur Zeit der Kriege Maria Theresias herrschten ungemein traurige Zustände und eine unsägliche Not in den ländlichen wie in den städtischen Volksschichten und wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir hören, daß damals auch die Zahlungskraft der Neuerner Judenschaft tief darniederlag. Besonders schwer trugen Witwen und Waisen an der allgemeinen Not. So waren im J. 1747 die „Jüdin Sandlin" ebenso wie der „Jud Salmel" schon zehn Jahre, die „Jüdin Lasserin" TVz und gar die „Schwarze Jüdin' im J. 1748, als sie endlich den jungen Salomon Simon aus N. zum Schwiegersohn und Schuldenablöser gewann, schon zwanzig Jahre mit den Gemeindeangaben im Rückstände. Aber nicht nur die Gemeinde, auch die hohe Obrigkeit hatte zu jenen traurigen Zeiten Anlaß zu bitterer Klage. Die dieser zukommenden Schutzgelder, die 1713 nur 260 fl. betragen hatten, waren bis &4 1749 schon auf 297 f 1. gestiegen (oder hinauf gesteigert worden) und sie sagt in ihrem „Dofninikal-Bekenntnis'' von 1749 von der Neuerner Judenschaft, „daß-diese, §o arm. sei, daß sie vielmahlen den ganzen Zins mijt groß- ; ter Gewalt zusammenzubringen nicht vermögen kon-'. nen", so daß diese Schutzgelder demnach eine --„un-gewisse Rubrik" in ihrem Einbekenutnis seien. Die' Herrschaft verlangte auch eine Befristigung für die Abfuhr der königlichen Steuer, da die Juden sonst außer Landes müßten. Die Neuerner Judengemeinde leistete, wenn auch in größter Not, dennooh . immer ihre Abgaben. Sie hatte aber öfter Ursache, sich gegen Übergriffe der obrigkeitlichen Beamten zu wehren; so im J. 1767, als diese das Schutz- oder Kopf-, auch .,Koppengeld" genannt, auch von solchen alten Vätern einforderten, die ihre Wirtschaft bereits an selbst zwei Söhne übergeben hatten. Auf die erste Vorstellung hin blieb der Bistritzer Graf Palm-Gundelfingen, der in Regensburg seinen Wohnsitz hatte, dabei, daß jeder solche alte Hausvater das Koppengeld weiter zu zahlen habe. Erst auf eine neue Bitte bewilligte der Graf in Gnaden, daß „wenn ein alt abgelebter jüdischer Vater seinem Sohne sein Haus übergibt und von dem, Seinigen lebt oder vom Sohne ernährt wird und dabei keine Handelschaft treibt", von dem persönlichen Schutzgelde befreit sein «olle. •-. ; Zwei Jahre später gab es Anstände mit dem Fleischkreuzerpächter. Die gesamte Judenschaft der Herrschaft Bistritz wandte sich mit bitteren Klagen gegen dessen Plackereien. Sie bat den Grafen, er möge den Fleischkreuzer wieder wie früher durch seine Beamten einheben lassen. Der Graf ging nicht drauf ein; er ließ aber die Bittsteller versichern, daß er sie gegen die „besagten Zudringlichkeiten des jetzigen gehässigen Pächters" durch Abschluß eines neuen „billigen" Pachtvertrages schützen lassen wolle. Im selben J. beschwerte sich der Kürschner Maines Schmelzbach in N. gegen einen Neuerner Juden, der ihm angeblich ins Handwerk pfusche und er bat, es möge diesem die Kürschnerei verboten werden. Die Obrigkeit aber erwiederte dem Meister: „Der Jude treibt nur Handelschaft; wenn der Beschwerdeführer guten Vorrat haben und wohl arbeiten wird, kann es ihm im Verkauf keineswegs fehlen." In den üblen Hunger jähren von 1771 und 1772 war auch die Neuerner Judenschaft wirtschaftlich schlecht daran und mehrere ihrer Mitglieder fielen wegen ihrer Rückstände an Schutzgeldern in Schuldenarrest. Da suchte Moyses Abraham, der Judenrichter von N., beim Grafen um Nachsieht an und bat ihn^ die Neuerner Juden in Anbetracht der harten Zeiten aus dem Arreste zu entlassen. Es wären ihnen „leidentliche Termine" zu machen und den Juden Elias und Isak Hahn wäre das ihnen aufgeschlagene Schutzgeld von 6 fl. in Gnaden nachzusehen. Das hätte den Erfolg, daß die Schuldner sogleich aus dem Arrest entlassen und ihnen Fristen bewilligt wurden. Doch wurde dem Judenrichter bei eigener Haftung aufgetragen, die Schuldner zur Zahlung anzuhalten. Auch die Schutzgelder der Brüder Hahn wurden wieder auf den alten Betrag herabgesetzt. Trotzdem konnten die armen Leute, von der allgemeinen Not schwer betroffen, wieder nicht zahlen, es drohte fast der gesamten Neuerner Judenschaft der Schuldarrest. Da' baten sie in herzzerreißendem Tone, es möchten ihnen „in Anbetracht der mühseligen Zeit weitsichtigere Termine ausgemacht werden". Graf Palm, der zu jener Zeit gerade in Bistritz weilte, ließ sich rühren und gab der Neuerner Judenschaft am 14. November 1772 den Trost: „Es% wird bedauert, daß sie sich wie alle andern Landesinwol»h.ér bei dermaligen schweren Zeiten hart ernähren; es wird untersucht werden35). .' Weil der Hausbesitz die ruhigste Grundlage für die Sicherung des Aufenthaltes im Orte und für die -Zukunft der Unternehmung und der ganzen Familie war, und weil dieser Besitz nicht für Geld — etwa durch den Ankauf bürgerlicher Häuser und Grundstücke — vermehrt werden konnte, hüteten ihn seine Inhaber aufs sorgfältigste. Ein solches kleines, enges Judenhaus im abgelegenen Winkel oder in einer schmutzigen Gasse (wie in Tachau) stand unter den Juden viel höher im Preis als ein schöner Bauernhof mit 50 Joch Grund. Man bedenke nur die hohen jährlichen Schutzgelder, die in N. gezahlt wurden! Für 15 Gulden bekam man um 1700 drei schöne Kühe. Um auf jeden Fall das Haus sicherzustellen, — auch gegen geschäftliche Verluste —, bürgerte* sich der Brauch ein, daß die Juden ihren Frauen hohe Beträge unter dem Titel der Morgengabe auf die Häuser verschrieben und diese Beträge auch grundbücherlich einverleiben ließen. Als Beispiel erwähne ich hier zwei solche Verträge, die beide am 16. Oktober 1766 in N. geschlossen worden waren. Da verheiratete Schmuila Abraham seiner Frau Esterl einen Betrag von 400 Schock Groschen oder 450 fl. rheinischer Währung als Morgengabe. Die Frau verwahrte sich dem entgegen wider jede Haftung für etwaige Verpflichtungen ihres Mannes. Denselben Betrag "und die nämliche Bedingung finden wir im Vertrage zwischen Naton Schmuila und seiner Frau Heugüttl, Tochter des Hayumb Johl von Oberneuern. Schon lange vor der Erlassung des für die Rechtsverhältnisse der Juden in der ersten Hälfte des vorigen Jhts. grundlegenden Judensystemalpatentes vom 3. August 1797 war die Anzahl der Schutzjuden, die eine Obrigkeit auf ihren Gütern haben durfte, vom Staate eingeschränkt worden, zuletzt durch ein Patent vom 1. März 1788. Es wurde da für die einzelnen Herrschaften eine gewisse Höchstzahl bestimmt, die nicht überschritten werden durfte und es wurde auch von den Juden selbst auf die Einhaltung dieses Numerus clausus gesehen, vor allem aus Geschäftseifer. In N. ereignete sich im J. 1781 der Fall, daß gleich zwei Geschäftsleute von der beschränkten Zahl abgestrichen werden konnten, als David Hann im Dorfe Lautschim (auf dem Gute Wihorschau) ein Häuschen erwarb und dessen Bruder Simon Hann das Branntwein- und das Flußhaus zu Miletitz in Pacht nahm, so daß nun beide in fremdem Schutz standen. Über Einschreiten der Neuerner J. G. verfügte das Amt Bistritz, die beiden Brüder Hann hätten binnen drei Tagen nicht nur N., sondern auch das ganze Bistritzer Herrschaftsgebiet zu räumen, widrigens Zwangmittel angewendet würden. So wurde, wie die Obrigkeit in ihren Ausweisungsgründen sagte, „der Nahrungstrieb der übrigen Schutzjuden nicht geschwächt"™). Das kaiserliche Judensystemalpatent vom 3. August 1797 brachte endlich die Zahl der Judenfamilien auf den einzelnen Herrschaften und im ganzen Lande Böhmen in feste Ordnung. Es wurde da bestimmt, wie viele jüdische Männer sich verehelichen und eine Familie gründen durften, wenn sie nicht einem bestimmten Gewerbe oblagen oder einem bestimmten Stande angehörten. Die Staatsverwaltung verfolgte dabei die wohlmeinende Absicht, die Juden von ihrem „lediglich dem Handel gewidmeten, jede schwerere Arbeit fliehenden unstäten Leben abzulenken". Darum erlaubte sie außerhalb der festgesetzten Familienzahl nur solchen Juden das Heiraten, 435